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Welcher Mensch möchte ich gewesen sein, wenn diese Krise vorbei ist?

Das ist die Frage. Welcher Mensch möchte ich gewesen sein? Die Frage, die mich in den vergangenen Wochen umgetrieben hat wie keine andere. Ich hoffe inständig, dass ich bisher einfach nur größtenteils mit den falschen Menschen verbunden war und dass das, was sich mir in den vergangenen Wochen offenbart hat, nicht exemplarisch ist für den […]

Welcher Mensch möchte ich gewesen sein, wenn diese Krise vorbei ist?

Das ist die Frage. Welcher Mensch möchte ich gewesen sein? Die Frage, die mich in den vergangenen Wochen umgetrieben hat wie keine andere. Ich hoffe inständig, dass ich bisher einfach nur größtenteils mit den falschen Menschen verbunden war und dass das, was sich mir in den vergangenen Wochen offenbart hat, nicht exemplarisch ist für den Querschnitt unserer Gesellschaft.

Denn die traurige Bilanz sieht so aus, dass ich mehr als 1.200 Facebook Verbindungen getrennt habe. Durch die Bank weg Leute, denen ich ohne mit der Wimper zu zucken eine gesunde Portion Menschenverstand zugetraut hätte, sonst hätte ich mich schliesslich nicht mit ihnen verbunden. Aber dieser Virus, der macht schon sehr verrückte Sachen mit den Leuten.

Ich sah mich in den vergangenen Wochen immer und immer wieder mit Posts konfrontiert, die mir suggerierten, dass die Erde eine Scheibe ist. Ich wurde aufgefordert, Petitionen gegen Zwangsimpfungen zu unterzeichnen, wurde darüber aufgeklärt, dass wir hier in Deutschland in einer Diktatur leben, dass unsere Kanzlerin in Wahrheit eine Echse ist und dass eine Maske beim Einkaufen den Lebensatem stört.

Was erstmal lustig klingt und wie eine Parodie von Xavier Naidoo anmutet, touchiert allerdings sehr schnell die eigene psychische Gesundheit, wenn dieses Geschwurbel plötzlich die eigenen Social Media Feeds dominiert. Und weil digitale Interaktion in einer Zeit der physischen Isolation wichtiger ist denn je, habe ich in den vergangenen Wochen gefühlt unendlich oft auf “Freund*in entfernen” geklickt, um mir so wieder einen digitalen Raum zurück zu erobern, der nicht von Zwangsgedanken und Wahnvorstellungen dominiert wird und mir dadurch zutiefst ungute Gefühle bereitet.

Ich habe lange überlegt, wie ich mit dieser gigantischen Ent-Täuschung umgehen soll und mich dann am Ende dafür entschieden, sie mit euch zu teilen.

Lasst uns heute also mal über Verantwortung, Solidarität, toxische Positivität und Spiritual Bypassing reden.

Alle, die bereits durch das Titelbild getriggert werden, sollten an dieser Stelle bitte nicht weiterlesen, denn ja, ich “glaube” an die Existenz von Viren. Nicht zuletzt, weil ich selbst schon zweimal von einer richtigen Influenza ausgeknockt wurde. Und weil ich ein Mensch mit einem pfiffigen Gehirn bin und in einem Land lebe, das mich frei im World Wide Web surfen lässt, bin ich außerdem zu dem messerscharfen Schluss gekommen, dass wir es derzeit “wirklich” mit einer Pandemie zu tun haben, also mit einer Nummer, die den ganzen Planeten betrifft.

Es gab ja Länder, die sich da nicht so sicher waren. Aber dass einem Virus Ländergrenzen herzlich egal sind, war am Beispiel von Großbritannien oder Schweden dann ja sehr schnell ersichtlich und hätte eigentlich auch den/die letzte*n Skeptiker*in überzeugen müssen. Oder etwa nicht!?

Nun ja, so eine Pandemie ist ja eine verdammt ungemütliche Sache. Davon können die Menschen in Hongkong, Taiwan, Singapur und Toronto sicherlich ein Liedchen singen, denn die hatten 2002/2003 ja schon SARS zu Besuch. Jetzt könnte man natürlich schauen, was diese Länder aus SARS gelernt haben und wie sie jetzt mit diesem neuartigen Coronavirus umgehen.

Das hätte dann allerdings zur Folge, dass man für ein Weilchen aufhören muss, seinem hedonistischen Lifestyle zu frönen. Mimimi. Daher bietet es sich alternativ an, die Pandemie als Solches (oder die Existenz von Viren im Allgemeinen) einfach gänzlich zu leugnen. Und wer sich dann noch ein fiktives Feindbild kreiert (böse Mächte, die Regierung, what so ever), kann sich entspannt zurücklehnen. Denn so zieht man sich selbst gänzlich aus der Verantwortung und kann weitermachen wie bisher. Was mich nachhaltig erschüttert? Dass ich bis vor Kurzem noch mit sehr vielen Menschen verbunden war, die sich für genau diesen Weg entschieden haben.

Welcher Mensch möchte ich gewesen sein, wenn diese Krise vorbei ist?

Ich kann hier nur für mich sprechen, aber ich möchte kein rücksichtsloses und unsolidarisches Arschloch gewesen sein, das andere Menschen während der eigenen Inkubationszeit oder einem asymptomatischen Verlauf unbemerkt angesteckt hat.

Ist es nicht verrückt, wie eine Gesellschaft sich selbst demaskiert, einfach nur indem man jede*n Einzelne*n auffordert, eine Maske zu tragen, die andere schützt?

Was, wenn wir gerade wirklich an der Schwelle zu einer neuen Zeit stehen, in der das “Wir” wichtiger sein wird als “Ich, Ich, Ich”? ICH bin nicht bereit, mich einzuschränken. ICH bin nicht bereit, zum Wohle anderer meinen Lifestyle zu ändern. MEIN Lebensatem! RISIKOGRUPPE WEGSPERREN!

I mean: What the fuck!?

Ich verbringe weiterhin viel Zeit zuhause, achte draußen auf den Mindestabstand und trage beim Einkaufen eine Maske. Und ich tue das nicht, weil “die Regierung” mich dazu zwingt, sondern weil es liebe und wichtige Menschen in meinem Leben gibt, die zur Risikogruppe gehören. Nervt es mich, mich derart einzuschränken und sogar die Sound Bath Deutschland Tour zu canceln? Natürlich! Stört mich die Maske beim Atmen? Na klar! Aber wem genau bringt es jetzt was, wenn mein Ego trotzig rebelliert und ich in der Konsequenz auf die Risikogruppe scheisse? Eines ist sicher: Die Antwort auf diese Frage findet ihr nicht bei KenFM.

Aber vielleicht ist Corona auch nur ein Symptom, genau wie die Klimakrise. MEIN Billigflug nach Bali zum Awakening Woman Retreat! MEINE hippen Yogaleggings, die von kleinen Kinderhänden in Bangladesch zusammengenäht wurden. MEIN Avocadobrot im Insta Feed, das anderswo auf diesem Planeten für Wasserknappheit sorgt.

Ich will jetzt hier aber auch nicht nur schwarzmalen und miese Laune verbreiten. Denn nach Corona wird die Welt schliesslich eine andere sein. Wir werden alle wissen, was wirklich zählt. Licht und Liebe all over the planet. Delfine in Venedigs Kanälen. Danke Corona! Wähle Liebe statt Angst! Everything happens for a reason! Corona als Chance! Globale Meditation hier, Glorifizierung da. Kennt ihr, oder?

Dieses Phänomen hört auf den Namen “Toxische Positivität”. Dabei wird alles, was sich ungemütlich anfühlt, konsequent ausgeblendet. Traurigkeit? Wut? Angst? Weg damit!

Ich habe dieses Phänomen allerdings eher zu Beginn der Krise beobachtet. Mittlerweile sind viele, die vor Wochen noch krampfhaft mit positivem Denken beschäftigt waren, aber eher verstummt. Oder ins Lager der Verschwörungsideolog*innen gewechselt. In beiden Fällen muss man sich mit den Konsequenzen dieser unkomfortablen Nummer nicht auseinander setzen. Easy.

Diese toxische Positivität dürfte ein Schlag ins Gesicht für all’ diejenigen sein, die durch das Virus bisher nahe Menschen verloren haben. (Bergamo, Madrid, New York, you name it.) Aber solange die Einschläge weit weg sind und es einen persönlich (noch) nicht betrifft, lässt sich das alles mit positivem Denken noch irgendwie hinbiegen. Ob es auch noch heisst “DANKE CORONA”, wenn es die eigene Mutter oder den eigenen Vater erwischt, die Freundin mit Asthma oder den Kumpel mit Morbus Crohn? Fraglich.

Lasst euch also bitte von niemandem einreden, dass mit euch irgendwas nicht stimmt, weil ihr gerade in einer Gefühlsachterbahn durch euer Leben saust. Heute traurig und frustriert, morgen absurd glücklich und übermorgen besorgt oder unfassbar wütend? Alles ganz normal.

Was mich in den vergangenen Wochen besonders schockiert hat? Zu erkennen, dass es in erster Linie die selbst ernannten “Spiris” in meiner Kontaktliste sind, die Verschwörungsgeschwurbel reposten und so dafür sorgen, dass Spiritual Bypassing gerade Hochkonjunktur hat.

Mir sind die absurdesten Vermeidungsstrategien unter dem Deckmäntelchen der Spiritualität begegnet, nur um sich nicht mit der aktuellen Situation auseinandersetzen zu müssen.

Wenn so viele Menschen auf den Verschwörungszug aufspringen und diese oft so absurde Haltung damit rechtfertigen, dass sie einfach besonders “wach” oder “weit” sind, dann kommt man nicht umhin, sich selbst auch immer wieder zu hinterfragen. Immer wieder gegen zu checken, ob man vielleicht nicht doch selbst der Freak ist. Die spirituell unterentwickelte Amöbe. Ein Opfer der “Mainstream Medien”.

Aber ganz ehrlich? Wenn diese Krise vorbei ist, will ich solidarisch gedacht und gehandelt haben. Ich will nicht egoistisch an meinen Luxusbedürfnissen festgehalten haben, die in der Vergangenheit ganz selbstverständlich zu meinem Lifestyle in einem der reichsten Länder auf diesem Planeten dazugehörten. Ich will aus freien Stücken bereit gewesen sein, mich zurückzunehmen, damit andere bei der ganzen Nummer nicht draufgehen. Auch wenn das zur Folge hat, dass ich mein Leben fortan als spirituell unterentwickelte Amöbe bestreite, Lichtjahre entfernt von der Erleuchtung und getrennt von fast all’ meinen “spirituellen” Facebook “Freunden”.

Mein Umfeld sortiert sich gerade komplett neu. Und ich bin fest entschlossen, zukünftig sehr viel genauer hinzuschauen – ganz egal, ob sich jemand einfach nur spirituell inszeniert, von sich selbst behauptet, eine alte Seele zu sein oder sich sonstwie über andere Menschen in ihrer niederen irdischen Existenz erhebt.

Und ich möchte auch euch ermutigen, eure digitalen Kontakte zu überprüfen. Digitale Vernetzung und der daraus resultierende Austausch sollte euch nicht runterziehen. Ganz im Gegenteil. Er darf auch erhebend sein! Vielleicht muss er es sogar in Zeiten wie diesen. Aber er steht und fällt mit dem eigenen Netzwerk. In so einer wilden Zeit braucht ihr die Wahnvorstellungen anderer Menschen nicht. Lasst sie gehen.

Und wo auch immer ihr rum surft: Lest am besten nicht die Kommentare. Das gilt für Facebook, aber ganz besonders auch für YouTube. KEINE KOMMENTARE LESEN! Nicht mal bei Arte! Eure psychische Gesundheit wird es euch danken.

Ich selbst bin diese Woche auch mal offline. Nehmt es also bitte nicht persönlich, wenn ich auf Emails, Nachrichten und Kommentare zu diesem Artikel erst nächste Woche reagiere.

Aber auch während ich offline bin, will ich nicht aufhören, von einer Welt zu träumen, in der die Menschen aufeinander achten und gut miteinander umgehen. Von einer Welt, in der das WIR mehr zählt als das ICH.

Bleibt gesund!